Negative Emissionen | Eine Einführung

Lennart Witstock
9 min readNov 20, 2020
Photo Credit: www.chooose.today

Was sind negative Emissionen?

“Negative Emissionen” ist ein Begriff, der den Prozess beschreibt, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu entnehmen und ihn dann zu verwenden oder zu speichern. “Negativ” meint also nicht schlecht, sondern beschreibt die Tatsache, dass wir der Atmosphäre Kohlenstoff entziehen, anstatt ihr etwas hinzuzufügen.

Kurzbeschreibung von Kohlenstoff positiv, neutral und negativ

Positiv:

  • Wir gehen in einen Wald und verbrennen einen Baum. Das ist kohlenstoff-positiv, da es mehr Kohlenstoff in die Atmosphäre abgibt, als es entzieht.

Neutral:

  • Wir pflanzen einen Baum, und er speichert eine Tonne Kohlenstoff in seiner Biomasse und dem umgebenden Boden. Wir verbrennen den Baum, und der gesamte gebundene Kohlenstoff wird freigesetzt. Das ist kohlenstoff-neutral, da die Menge an Kohlenstoff, die der Atmosphäre entnommen und in die Atmosphäre eingebracht wird, gleich groß ist.

Negativ:

  • Wir pflanzen einen Baum der eine Tonne Kohlenstoff aus der Atmosphäre entnimmt und speichert. Diesmal verbrennen wir den Baum nicht. Das ist kohlenstoff-negativ, da er der Atmosphäre mehr Kohlenstoff entzogen wird als er emittiert.
  • Wir pflanzen einen Baum, und er speichert eine Tonne Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Wir fällen ihn und verwenden das Holz als Baumaterial. Das ist kohlenstoff-negativ, denn bei der Verwendung von Holz als Baumaterial wird der in der Biomasse gespeicherte Kohlenstoff nicht freigesetzt.

Wieso brauchen wir negative Emissionen?

Kohlenstoff ist im Allgemeinen nichts schlechtes. Tatsächlich besteht der menschliche Körper zu 18% aus Kohlenstoff, und Kohlenstoff wird als “der Baustein des Lebens” bezeichnet. Das Problem ist also nicht die Menge an Kohlenstoff, die es auf unserem Planeten gibt, sondern wo sich dieser Kohlenstoffs aufhält. Also das passende Gleichgewicht.

Carbon-Cycle. Photo Credit: www.noaa.gov

Vorzugsweise wollen wir ein Gleichgewicht haben, dass es den Ökosystemen von denen unser Leben abhängt erlaubt zu florieren. Gegenwärtig ist die Menge an Kohlenstoff und anderen Treibhausgasen in unserer Atmosphäre zu hoch. Das führt zur aktuellen Klimakrise und gefährdet unsere Lebensbedingungen. Obwohl die Menge an Kohlenstoff in der Atmosphäre und die industriellen Emissionen (wie in der Abbildung unten zu sehen) ziemlich gering erscheinen mögen, stellen sie eine existenzielle Bedrohung dar. Mit der Atmosphäre ist wirklich nicht zu spaßen. Tatsächlich stehen alle fünf uns bekannten Massenaussterben in Zusammenhang mit der atmosphärischen Zusammensetzung und/oder dem Klima.

Global Carbon. Photo Credit: www.fs.usda.gov

Über die letzten Jahrhunderte (und auch jetzt) haben wir Unternehmen dafür bezahlt kohlenstoffreiche Substanzen wie Kohle, Öl oder Gas aus dem Boden zu gewinnen, damit wir sie verbrennen konnten und unsere Maschinen zum Laufen zu bringen. Diese Unternehmen sind sehr reich, mächtig und gut darin geworden kohlenstoffreiche Substanzen aus dem Boden zu gewinnen. Unsere Gesellschaft hat zweifellos enorm von den Vorteilen einer mit fossilen Brennstoffen betriebenen Wirtschaft profitiert. Leider hat uns das “ein bisschen” aus dem Gleichgewicht gebracht, was den Kohlenstoff betrifft. Wie die Grafik zeigt. Um es noch schlimmer zu machen: Das verbrennen von einen Kilogramm Öl führt nicht zu einem Kilogramm CO2, sondern zu 3 kg. (siehe hier für eine detaillierte Liste).

Atmospheric carbon dioxide concentrations, 800,000 years ago to present. Photo Credit: www.darrinqualman.com

Welche Rolle spielen negative Emissionen bei einer ganzheitlichen Klima-Lösung?

Ok, haben wir gelernt: Um die Auswirkungen der Klimakrise zu mildern, müssen wir die Menge an Kohlenstoff in der Atmosphäre reduzieren. Und dafür gibt es zwei Möglichkeiten:

  1. Vermeiden, dass neuer Kohlenstoff in die Atmosphäre gelangt (im Sinne unseres neu gelernten Slangs wäre das “positive Emissionen reduzieren”)
  2. Entzug von Kohlenstoff aus der Atmosphäre (d.h. “negative Emissionen”)

Auch wenn es in diesem Blogbeitrag um negative Emissionen geht, ist es mir wichtig klarzustellen, dass der Großteil unserer Bemühungen der ersten Kategorie gewidmet sein sollte. Wie in so vielen Fällen ist es einfacher und billiger, Schäden zu vermeiden als sie zu reparieren. Wichtige Schritte in diese Richtung sind: die Verringerung der fossilen Abhängigkeit unserer Wirtschaft, die effizientere Nutzung von Ressourcen und die Verhinderung der Freisetzung von Kohlenstoff aus natürlichen Kohlenstoffsenken wie Wäldern, Mangroven oder Permafrostgebieten.

Wenn wir das 1,5°C-Ziel der Pariser Vereinbarung erreichen wollen, reicht leider selbst ein Best-Case-Szenario zur Reduzierung unserer Emissionen nicht aus. Tatsächlich beinhalten alle Szenarien des IPCC (In Deutschland auch oft “Welt-Klima-Rat” genannt), die zu einer Welt mit weniger als 1,5°C Erwärmung führen, negative Emissionen in der Giga-Tonnen-Größenordnung. (die globalen Emissionen seit der industriellen Revolution liegen zwischen 300–400 Giga-Tonnen). Während also der Großteil unserer Anstrengungen auf die Verringerung der Emissionen ausgerichtet sein sollte, müssen wir einen Teil unserer Anstrengungen darauf verwenden, der Atmosphäre auch Kohlenstoff zu entziehen. Welche Möglichkeiten haben wir also um das in Angriff zu nehmen?

Formen negativer Emissionen:

Wir können durch die Nutzung von Technologie aber auch durch die Nutzung von Pflanzen und Ökosystemen negative Emissionen erzeugen.

Negative Emissionen durch Landnutzung:

Wälder:

Wälder sind ein klassisches Beispiel für negative Emissionen. Sie speichern Kohlenstoff in ihrer Biomasse, erhöhen aber auch den im Boden gespeicherten Kohlenstoff. Eine Studie der ETH-Zürich hat ergeben, dass es ungenutzte Flächen gibt, die sich zur Aufforstung eignen und zusammen der Grösse der USA entsprechen. Und wenn all diese Flächen für Wälder genutzt würden, “könnten diese neuen Wälder, wenn sie einmal ausgewachsen sind, 205 Milliarden Tonnen Kohlenstoff speichern: etwa zwei Drittel der 300 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, die seit der industriellen Revolution durch menschliche Aktivitäten in die Atmosphäre freigesetzt wurden”. Natürlich gibt es potentielle Konflikte in der Landnutzung, aber es gibt definitiv ein großes Potential für die Aufforstung.

Auch hier ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass bestehende Wälder viel effektiver Kohlenstoff speichern als neu gepflanzte Wälder.

Böden in der Landwirtschaft:

Es ist vielleicht unerwartet oder sogar enttäuschend, von Boden zu hören, wenn du zu diesem Blogbeitrag gekommen bist, um von einer coolen Technologielösung zu hören. Aber die Landwirtschaft spielt eine ganz besondere Rolle in unserem Streben nach der Beendigung der Klimakrise. Die Landwirtschaft macht derzeit einen großen Teil der globalen Emissionen aus und hat im Gegensatz zu den anderen Sektoren in diesem Kuchendiagramm die Möglichkeit, sich von einer Kohlenstoff emittierenden zu einer Kohlenstoff speichernden Industrie zu wandeln.

Global Greenhouse Gas Emissions Data. Photo Credit: www.epa.gov

Dieses Potential liegt vor allem in der Erde. Die amerikanische NGO Carbon180 stellt fest, dass “allein die landwirtschaftlichen Böden der USA in der Lage sind, jährlich bis zu 10% der inländischen Treibhausgasemissionen für nur 10 Dollar pro Tonne zu speichern”.
Die so genannte regenerative Landwirtschaft hat viele Elemente, aber zwei wesentliche Aspekte sind eine erhöhte Biodiversität (weniger Monokulturen) und das geschlossen halten des Bodens. Also kein Umpflügen des Bodens. Wenn du daran interessiert bist, mehr darüber zu erfahren, kann ich diesen Dokumentarfilm von Ecosia wärmstens empfehlen.

Agroforstwirtschaft:

Die Agroforstwirtschaft ist eine Bewirtschaftungsform der Landnutzung, die sich weitgehend mit der regenerativen Landwirtschaft überschneidet. Es geht darum, Bäume mit Nutzpflanzen und/oder Vieh zu kombinieren, um gegenseitige Vorteile zwischen den Arten zu schaffen, um sie widerstandsfähiger und produktiver zu machen und um ökologische und wirtschaftliche Vorteile zu erzielen. Sie liegt zwischen Aufforstung und Landwirtschaft. Deshalb stelle ich sie als separate Lösung dar.

Wheat — poplar agroforestry system, South of France. Photo Credit: Christian Dupraz

Technologien für negative Emissionen (NETs):

BECCS:

BECCS steht für Bio-Energy with Carbon Capture and Storage. 🤨. Lass mich das erläutern. Bei der Bio-Energie geht es darum, Energie aus Biomasse zu gewinnen, zum Beispiel durch Verbrennung. Wenn wir also extra einen zusätzlichen Wald anbauen und dann das Holz verbrennen würden, um Strom zu gewinnen, könnten wir das als kohlenstoff-neutral bezeichnen. Hier kommt CCS ins Spiel. Ein Beispiel für CCS wäre das Ausfiltern von Kohlenstoff am Ende der Schornsteins eines Kohlekraftwerks und die anschließende Speicherung in Baumaterial. In diesem Beispiel führt es dazu, dass ein Kohlekraftwerk weniger kohlenstoff-positiv ist. Was aber wir damit beginnen würden einen Wald zu pflanzen, anstatt Kohle zu verwenden. Die Bäume würden Kohlenstoff aus der Luft aufnehmen, wir würden sie verbrennen, Energie gewinnen und den Kohlenstoff daran hindern, in die Atmosphäre zu gelangen, indem wir ihn einfangen und dauerhaft speichern.

BECCS. Photo Credit: https://futuretimeline.net
BECCS. Photo Credit: https://futuretimeline.net

Diese Lösung hat definitiv Potenzial, aber sie ist auch mit viel Kritik verbunden, da sie zu Interessenkonflikten bei der Landnutzung führen könnte. Unsere Bevölkerung wächst immer noch, wir brauchen Land für die Nahrungsmittelproduktion, und derzeit ist die Landwirtschaft die Hauptursache für Entwaldung.

DAC

Endlich eine magische Maschine, die Kohlenstoff aus der Luft saugen kann. DAC dteht für Direct Air Capture. Und ja, das gibt es, es funktioniert, und es ist in Betrieb. Ich bin ein großer Fan dieser Technologie und habe einige “Kohlenstoffbeseitigungsdienste” abonniert und kann in meinem persönlichen Wirkungsbericht beobachten, wie das gespeicherte CO2 ansteigt. Der Kohlenstoff kann zum Brausen von Getränken verwendet werden, in echten Gewächshäusern, in Baumaterialien oder er kann in Gesteinsformationen gespeichert werden.

DAC Plant in Switzerland by Climeworks. Photocredit: https://climeworks.com
Screenshot of my Impact Report

Die Herausforderungen für diese Technologie sind der Energieverbrauch und der Preis pro Tonne.

Wenn wir die Energie für DAC durch die Verbrennung von Kohle erzeugen, wird uns das nicht weit bringen. Deshalb ist saubere Energie ein entscheidender erster Schritt, damit diese Technologie ihr Potenzial entfalten kann. Glücklicherweise spielt es keine Rolle, wo sich die DAC-Anlagen befinden, da die Kohlenstoffmenge in der Atmosphäre weitgehend gleichmäßig verteilt ist. Aus diesem Grund (und anderen) hat Climeworks seine erste Anlage in Island errichtet, “wo etwa 85% der gesamten Primärenergieversorgung aus im Inland produzierten erneuerbaren Energiequellen stammt” (hauptsächlich Geothermie).

CarbFix Plant turning Climeworks’ carbon into rocks in Iceland. Photo Credit: https://climeworks.com

Die andere Herausforderung ist der Preis. Derzeit liegen die Kosten pro Tonne zwischen 400 und 1000 Dollar. Das ist zu teuer, um es mit einer Kohlenstoffsteuer abzudecken. Bei DAC handelt es sich jedoch um eine relativ junge Technologie, und es wird erwartet, dass der Preis sinken wird, je mehr Forschung betrieben wird, je mehr Erfahrungen gesammelt werden und je mehr skaliert wird. Deshalb ist es entscheidend, diese Technologie jetzt zu unterstützen, denn wir brauchen sie so schnell wie möglich, und sie muss sich schnell weiterentwickeln.

Darüber hinaus gibt es nicht nur Climeworks, sondern auch Carbon Engineering und Global Thermostat als die prominentesten Akteure, wenn du dich näher damit befassen willst.

Interessanterweise sind große Ölgesellschaften in diese Technologie investiert. Dies ist vielleicht auf ihr Interesse an synthetischen Kraftstoffen, auch Solar-Kraftstoffe genannt, zurückzuführen. Diese könnten aus dem eingefangenen Kohlenstoff, Wasser und Sonnenlicht hergestellt werden. Ähnlich wie der DAC ist diese Technologie einsatzbereit, aber derzeit zu teuer. Die Verbrennung dieser Brennstoffe wäre kohlenstoffneutral, da nur die Menge an Kohlenstoff freigesetzt wird, die zuvor eingefangen wurde. Verglichen mit den derzeitigen Auswirkungen der Verbrennung von Brennstoffen wäre das ein gewaltiger Schritt nach vorne. Dies wäre besonders wichtig für Industrien, die nur schwer zu elektrifizieren sind, wie z.B. Flugzeuge und Frachtschiffe. Denn Flugzeuge und Frachtschiffe brauchen Energieträger mit hoher Energiedichte. Flüssige Brennstoffe speichern heute im Vergleich zu Batterien bei gleichem Volumen 20 bis 60 Mal mehr Energie. Und im Vergleich zu Wasserstoff benötigen sie eine wesentlich weniger aufwendige Infrastruktur. Solch eine Infratsruktur stellt in vielen Regionen eine große Hürde dar.

Resumé

Ich hoffe, dieser Blogpost war aufschlussreich und hat Freude beim Lesen gemacht. Ich denke, man kann mit Sicherheit sagen, dass es vernünftige Lösungen gibt, um negative Emissionen zu erzeugen. Aber diese sind keineswegs eine Entschuldigung dafür, einen radikalen Übergang unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu verzögern. Diese Lösungen sind unerlässlich, sollten aber als Aufräum-Instrumente funktionieren, wenn wir eine kohlenstoff-neutrale Wirtschaft erreicht haben. Oder als wichtiger Puffer, um etwas mehr Zeit zu gewinnen. Es gibt keine Patentlösung und keine einfache Lösung für die Klimakrise. Wir sollten nicht auf eine magische Maschine warten, die unsere Probleme löst. Aber wir sollten unsere Lebensweise und unsere Wirtschaft ändern, und wir sollten die magischen Maschinen, die wir bereits haben, wie Bäume, Ozeane und Böden, unterstützen. Und wir sollten dafür sorgen, dass die Kosten für die magischen Maschinen, wie DAC, gesenkt werden. Aber diese technologischen Lösungen dürfen uns nicht davon ablenken, dass wir an erster Stelle unsere Wirtschaft, Gesellschaft und Lebensstil mehr in Einklang mit den natürlichen Gegebenheiten bringen.

Abkürzungen, die verwirrend sein können, beim Lesen von anspruchsvollen Artikel:

Zusätzliche Lektüre / Quellen:

Ecosia-Dokumentation über regenerative Landwirtschaft: https://www.youtube.com/watch?v=TPkXAi_IKwQ

Carbon180: https://carbon180.medium.com

Solar fuels paper: https://www.cell.com/joule/pdf/S2542-4351%2819%2930373-3.pdf

Solar fuel video by ETH Zürich: https://www.youtube.com/watch?v=s1-soaZn4B0

Carbon Cycle: https://www.noaa.gov/education/resource-collections/climate/carbon-cycle

Global Carbon: https://www.fs.usda.gov/ccrc/topics/global-carbon

Global greenhouse gas emission data: https://www.epa.gov/ghgemissions/global-greenhouse-gas-emissions-data

Environmental emission of carbon dioxide CO2 when combustion fuels like coal, oil, natural gas, LPG and bio energy: https://www.engineeringtoolbox.com/co2-emission-fuels-d_1085.html

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Lennart Witstock

Student of "Global Sustainability Science" at Utrecht University. Formerly founded www.mnt.agency